Predigt Karin Ott vom 9. Juli 2023

«Du sollst ein Segen sein!»

Hört den heutigen Predigttext aus dem 1. Mose 12,1-3:
Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum grossen Volk machen, und will dich segnen und dir einen grossen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.

 

Liebe Gemeinde,
am Anfang der Bibel wird erzählt, wie die Schöpfung Gottes, wie Tag und Nacht und alles Leben auf der Erde entstanden ist. Und zuletzt kam der Mensch dazu, so heisst es in Vers 27:
Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie…
Das Allererste, was dem Menschen zuteilwird, ist der Segen Gottes. Die biblische Bedeutung des Segens meint ursprünglich: jemanden mit Kraft ausrüsten, mit der Fähigkeit, heilsam und wohltuend wirksam zu sein. Segen ist etwas, das empfangen wird, das man sich nicht selbst erarbeitet hat, sondern das die Quelle von allem Handeln und aller Lebendigkeit ist. Gesegnet sein bedeutet: aus dieser schöpferischen Kraft leben und sie zum Strahlen und Leuchten zu bringen. Mit Segen wird Kraft zuteil.
Im Predigttext aus 1. Mose 12 haben wir gehört, wie Abram von Gott gesegnet und befähigt wird, in die Welt hinauszuziehen: in ein Land, das ich dir zeigen will. Für Abram ist dies ein Weg ins Ungewisse, ins Neuland sozusagen. So geht es auch jetzt zu Beginn des Sommers allen, die in die Ferien gehen und an unbekannte Orte reisen. Was erwartet sie in der Fremde, wird alles gut gehen, kommen sie heil und gesund zurück? Abenteuerlust reist mit, aber auch Unsicherheit. Wir wünschen: «Gute Reise und gesunde Rückkehr!» Denn nichts ist gewiss, und wir leben von Hoffnung. Das Leben wird zerbrechlich nahe am Tod gelebt. Nur mit Vertrauen und Zuversicht wagt man sich auf neue Wege und in die unbekannte Zukunft.
Gott verheisst dem Stammvater Abram, dass er gesegnet sein wird mit vielen Nachkommen: ich will dich zum grossen Volk machen! Und so geschieht es später auch – er wird Abraham der Stammvater der 12 Söhne seines Enkels Jakob, und damit Vorfahre der 12 Stämme Israels.
Nachdem Abraham seinen Sohn Isaak – sein spät geborenes, einziges Kind – bereit gewesen wäre zu opfern, verkündet ihm der Engel:
Gott spricht: Ich will dein Geschlecht segnen und mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres… (1. Mose 22,17)
Mit der Verheissung einer grossen Nachkommenschaft - so zahlreich wie der Sand am Meer, wird deutlich, dass Segen eine Gabe ist, ein Geschenk und eine Zusage, die wir nur hören, glauben und annehmen können. Segen bedeutet, im eigenen Leben der Stimme Raum zu verschaffen, die zu uns spricht: «Es ist gut, dass es dich gibt. Du bist geliebt, so wie du bist. Dein Leben ist ein Geschenk, und es soll für viele fruchtbar werden.»
Ohne diese Zusage fühlen wir uns von all unserer Arbeit und all unseren Aktivitäten überanstrengt und am Ende wie ausgebrannt und leer. Mit dem Angenommensein und dem Wissen, geliebt zu sein, können wir hingegen wirbeln und wirken, Berge erklimmen und Bäume ausreissen. Mit dieser Zusage können wir das Leben meistern, selbst wenn Schicksalsschläge uns treffen. In Zeiten von Not und Trauer erfahren Menschen oft eine Kraft, die sie stärkt und begleitet, und das ist der Segen aus den guten Zeiten des Lebens, der tragen hilft durchs Schwere.
Als Gesegnete sind wir gestärkt fürs Leben. Denn unser Menschenleben ist vergänglich und gefährdet, oftmals ungeschützt, ausgesetzt und bedroht.
Sorgen können einem die Luft abschnüren und Schmerzen den Verstand rauben. Streit und Unversöhnlichkeiten können tiefe Wunden in Beziehungen reissen, und nicht alle Risse werden heilen. Gerade in der Erfahrung schmerzlicher Situationen erweist sich Segen als die Kraft, die trägt. So lautet ein alter Abschiedsgruss im Romanischen: «Sto cul Segner!» (Bleibe mit dem Herrn = Gott behüte Dich!) Mit Gott sein, heisst von ihm umfangen und getragen sein auf dem Weg des Lebens.
Doch Abram wird nicht nur Segen für sich zugesprochen, sondern:
Du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, (…) und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
Gerade aus der liebenden Zuwendung schöpfen wir Kraft in der Ohnmacht. Menschen können anderen zum Segen werden, so dass es einfach gut ist, dass es sie gibt.
Abram macht sich auf den Weg hinaus in die Welt, geht in die Fremde und lernt Neues kennen, Menschen und Landschaften. Und überall, wohin er kommt, bringt er von seinem Gesegnet-sein auch Segen mit für andere.
So schliesse ich mit einem Weg-Segen von Katja Süss:
Gott segne Deinen Weg,
die sicheren und die tastenden Schritte, die einsamen
und die begleiteten, die grossen und die kleinen.
Gott segne Dich auf Deinem Weg
mit Atem über die nächste Biegung hinaus,
mit unermüdlicher Hoffnung, die vom Ziel singt,
das sie nicht sieht, mit dem Mut, stehenzubleiben,
und der Kraft, weiterzugehen. (…)
Geh im Segen und gesegnet bist Du Segen,
bist ein Segen, wohin Dich der Weg auch führt. Amen.