Predigt Karin Ott vom 3. April 2022

Wo ist Gott?

 

der heutige Predigttext steht in Psalm 139,7-12:

Wohin soll ich gehen vor deinem Geist,

und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?

Führe ich gen Himmel, so bist du da;

Bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.

Nähme ich Flügel der Morgenröte

und bliebe am äussersten Meer,

so würde auch dort deine Hand mich führen

und deine Rechte mich halten.

Spräche ich: Finsternis möge mich decken

und Nacht statt Licht um mich sein,

so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir,

und die Nacht leuchtete wie der Tag.

Finsternis ist wie das Licht.

 

Liebe Gemeinde,

angesichts des Grauens und der Schreckensmeldungen vom Krieg in der Ukraine, auch bei der Hungersnot am Horn von Afrika und in Afghanistan fühlen wir uns ohnmächtig und hilflos mehr denn je und fragen: Wo ist Gott? Warum geschieht so viel Leid und Elend auf der Welt?

Anders als bei einer Krankheit oder einer Naturkatastrophe handelt es sich bei einem Krieg um eine direkt und ausschliesslich von Menschen verursachte Katastrophe.

Es sind die Menschen, die einander töten und morden. Unsäglich viel menschengemachtes Leid geschieht dieser Tage. Auch wenn wie in Afghanistan die Religion falsch verstanden wurde und religiöser Fanatismus die Herzen und Köpfe vergiftet hat, bleibt letztlich doch der Mensch verantwortlich für sein Handeln, und es wäre zu einfach, die Verantwortung dafür oder eine vermeintliche Billigung des Leidens Gott anzulasten.

 

In Psalm 139 sucht der Psalmdichter nach Antworten auf die Frage, wo Gott zu finden sei. Dabei stellt er sich vor, wie es wäre, vor Gott zu fliehen und sucht nach einem Ort, an dem Gott nicht ist. Doch stattdessen ist Gott selbst dort, wo man es nicht erwarten würde. Dass Gott im Himmel zu finden ist, entspricht den gängigen Glaubensvorstellungen. Aber er ist auch bei den Toten ebenso wie am äussersten Meer, also am Ende der Welt. Das bedeutet, dass es keinen Ort auf der Erde gibt, wo Gott nicht ist.

 

So heisst es in einem Gebet aus dem Warschauer Ghetto:
Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint.
Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht fühle.
Ich glaube an Gott, auch wenn er schweigt.

 

Von einem solch tiefen Glauben durchdrungen ist auch der 139. Psalm: Selbst Finsternis und Nacht können den Menschen nicht von Gott trennen. Gottes Gegenwärtigkeit bleibt bestehen, wo immer wir sind. Es gibt keine Gottesferne, weder Diesseits noch Jenseits, weder im Himmel noch auf Erden, weder bei Tag noch bei Nacht. An keinem Ort und zu keiner Zeit sind wir fern von Gott, selbst dann nicht, wenn wir meinen es zu sein, wenn wir mit Jesus fragen: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

 

In den Dunkelheiten des Lebens wünschen wir sichtbare Zeichen und Wunder der Rettung und der Gegenwart Gottes. Wir wollen uns vergewissern; so wie ein Kind, das Angst hat und sicher sein möchte, dass die Eltern noch da sind. Wenn es dunkel ist um uns und in unseren Gedanken, halten wir Ausschau nach dem Licht und sei es nur ein Hoffnungsschimmer. Je grösser die Gefahr für Leib und Seele, desto grösser ist die Sehnsucht nach Rettung, nach einem Helfer aus der Not, einem Schutzengel. Und wie Hiob sehnt man sich zurück in die Zeit, wo noch alles gut war: O dass ich wäre wie in den früheren Monden, in den Tagen, da Gott mich behütete, da seine Leuchte über meinem Haupt schien und ich bei seinem Licht durch die Finsternis ging!
(Hiob 29,2)

Wer sich zurückerinnert an seine Kindheit und frühe Vergangenheit, wird wohl auf lichtvolle Stunden stossen und Hiob zustimmen, dass es sie gegeben hat, die Zeiten von Freude und Glück und dass es guttut, sie sich immer wie-der einmal zu vergegenwärtigen. Gute Erinnerungen stärken uns in schwierigen Zeiten. Sie laden uns ein zum Vertrauen und zur Hoffnung auf Gottes Nähe auch auf den schwierigen Wegstrecken und selbst da, wo wir den Weg nicht wissen. Denn: Finsternis ist nicht finster bei Dir, Gott, und die Nacht leuchtet wie der Tag.

 

Gott ist bei uns bei Tag und bei Nacht und lädt uns ein zur Hoffnung, dass es nicht immer dunkel bleiben muss, weder in der grossen Welt noch in unserer eigenen, kleinen Welt. Es gab Freude und Glück in der Vergangenheit, es kann sie auch in der Zukunft geben. So umschreibt es Christa Spilling-Näker:

"So vieles, denkst Du, ist schief gegangen in Deinem Leben. Du hast falsche Entscheidungen getroffen, Menschen haben Dich verletzt und im Stich gelassen, Träume zerrannen, und Deine Schritte wissen weder Weg noch Ziel. Ich wünsche Dir, dass plötzlich das Unerwartete über Dich hereinbricht, dass Dir ein Stern vom Himmel fällt und das Wunder geschieht, dass Unmögliches möglich wird und sich Dein Lebenstraum erfüllt. Ich wünsche Dir, dass Du Licht bist, dass Du Licht bleibst, und Licht erfährst in Deinen eigenen Dunkelheiten."

 

Helfen wir mit, dem Guten den Weg zu bereiten in unseren Köpfen und Herzen.

So wünsche ich uns allen die Hoffnung und das Vertrauen, dass die Finsternis nicht finster ist bei Gott, dass das Licht stärker ist als die Dunkelheit, so, wie die Liebe stärker ist als der Tod; denn unser Sein vor Gott endet nie. Amen.